Erinnerung an Verleger-Legende

Von Olaf Velte

Bad Homburg und Hochtaunus – 21.09.2016

Am Sonntag nimmt der Oberurseler Kulturverein Litera-Touren sein zehnjähriges Bestehen zum Anlass, an den legendären Verleger V. O. Stomps und seine Eremiten-Presse zu erinnern.

Längst ist das nächtliche Schnaufen der Heidelberger Schnellpresse verklungen, klimpern keine Lettern mehr in den Setzkästen. Doch in den Winkeln des schmucklosen Fachwerkbaus stecken sie noch, die Hinterlassenschaften des legendären V. O. Stomps. An den Wänden des ehemaligen Wohnraumes sind jene hölzernen Einbauregale zu entdecken, die während der Eremiten-Verlagsjahre unter Bücherlasten zu ächzen hatten. Noch immer schwingt sich eine schmale Stiege hinauf unters Dach, wo der Hausherr das müde Haupt aufs Kissen betten konnte. Nebenbei sein Spiegel – funkelnde Kostbarkeit im bettelarmen „Schloss Sanssouris“.

Es ist ein Glück für Oberursel, dass sich die Einmaligkeit erhalten hat: Heimstatt einer der eigenwilligsten und einflussreichsten Verleger deutscher Zunge, Ort der Neubesinnung, des künstlerischen Aufbruchs nach 1945. Eine Erbschaft, die am kommenden Sonntag in Erinnerung gerufen wird. Der Kulturverein Litera-Touren aus Oberursel nimmt sein 10-jähriges Bestehen zum Anlass, einen Tag für V. O. Stomps und seine Autoren zu gestalten. „Es war einmal in Stierstadt“ ist überschrieben, was in der Kunstbühne Portstraße um 15 Uhr mit einer Ausstellung zum „Stierstädter Salon“ anhebt.

Eva Sigrist und Gudrun Dittmeyer, die Litera-Touren-Gründerinnen, haben das Thema bereits zwei Mal in den Fokus gerückt, für die selbst gestaltete Ausstellung lange recherchiert und Material zusammengetragen. 2009 war der landesweite Literaturtag willkommener Anlass, zwei Jahre später geriet der Oberurseler Hessentag in den Bann der Stomps’schen Querschlägereien. „Es ist dieses Anders-Denken des Verlegerseins, die Werkstattsituation damals, was fesselt und beispiellos ist“, sagt Eva Sigrist. Das Credo der 1949 ins Leben gerufenen Eremiten-Presse spricht für sich: „Der Verlag will keiner literarischen Garde dienen oder zeitgebundenen Tendenzen folgen.“ Das Außenseitertum war im Stierstädter Schloss ausdrücklich erwünscht.

Dort haben heute die Nachkommen der einstigen Vermieterfamilie Krämer das Sagen. Auf der Gartenparzelle, wo vorzeiten das Gebiss des Verlegers verloren ging, steht mittlerweile ein Wohnhaus, in dem benachbarten, von Sagen umrankten Fachwerkgebäude stapeln sich Garten- und Partymöbel.

Bis Ende der Achtziger ist das berühmte Häuschen am Bahndamm – nach dem unrühmlichen Auszug der Spät-Eremiten Hülsmanns und Reske – unter Nachmieter Wolfgang Schlick ein Treffpunkt für Kunstschaffende. Gefährdungen bleiben nicht aus: Wegen Erweiterung der Bahntrasse soll die vormalige Zimmerei-Halle niedergelegt werden, 1987 droht erneut eine Abbruchgenehmigung. Nur durch eine während der Buchmesse initiierte Unterschriftensammlung wird die Erinnerungsstätte schließlich erhalten. Ein Antrag auf Denkmalschutz hat das Landesamt jedoch abgelehnt.

Kurze Zeit später erinnern sich auch Oberurseler Kommunalpolitiker an den widerborstigen Literaten, für rund 23 000 Euro werden 80 Druckwerke angekauft. Bürgermeister Thomas Schadow will aus „Sanssouris“ ein Museum machen,

sogar ein „Stadtschreiber“ soll dort einziehen. All die edlen Pläne lösen sich in Wohlgefallen auf, in Stierstadt kehrt wieder Ruhe ein.

Im Hause Krämer wird die Erinnerung gepflegt, eine Nutzung als Museum findet dort Zustimmung. Der Bau am Ortsrand dürfte der angemessene Ort für den wertvollen Eremiten-Bestand sein, der von heimischen Sammlern bislang im Privaten gehütet wird. Bürgermeister Hans-Georg Brum, der die Stierstädter Bohème als Kind bestaunt hat, hält die Idee für „überlegenswert“. „Ein Kreis von Mäzenen und Organisatoren müsste sich finden.“ Die hohe literarische Bedeutung von Stomps sei ihm bewusst – aber als städtische Außenstelle könne das Schlösschen nicht betrieben werden.

„Es wäre der beste Platz“, so Gudrun Dittmeyer von den Litera-Touren, „um ein Projekt für junge Lyriker zu etablieren.“ Damit könne das wichtige Erbe der Eremiten-Presse angetreten und zugleich das literarische Profil der Stadt geschärft werden.

Noch immer sind Entdeckungen zu machen. Krämer-Tochter Inge öffnet das Tor einer zum Anwesen gehörenden Scheuer. „Hier wurde der 65. Geburtstag von VauO gefeiert.“ Hunderte von Gästen waren angereist, gelockt von einer mit Holzschnitt veredelten Einladung: „Ländliche Erfrischungen werden in kleinen Mengen gereicht.“ Der Blick geht hinauf zur Backsteinwand, wo sich ein raumgreifender Gruß bis in unsere Tage erhalten hat. Mit einem schwungvollen „Guten Morgen V. O.“ nebst Herzchen haben die Eremitensöhne ihrem „Rabenvater“ die Ehre erwiesen.

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Linksaußen am Bahndamm

Von Olaf Velte

Bad Homburg und Hochtaunus – 21.09.2016

Im Vordertaunus wird zwischen 1954 un 1967 Literaturgeschichte geschrieben.

Es ist eine sagenhafte Zeit. Die Stierstädter kümmern sich noch selbst um das eigene Dorfgeschick, bewerkstelligen mit Stolz ihren Handwerker- und Bauernalltag. Auf dem nahen Bahndamm rauscht ab und an ein Schnellzug vorüber, gemahnt für Sekunden an die große, ferne Welt. Junglyriker Dieter Hoffmann besingt die drei örtlichen Wirtschaften „Gasthof Zur Waldlust,/Zum Taunus,/Zum Hirsch“ – vergisst auch den ausgetrockneten Pferdebrunnen und die träumende Erbsengasse nicht.

Es ist eine Zeit, in der das Poetische seinen Platz hat in Stierstadt, einer 2000- Seelen-Siedlung vor den Toren Frankfurts. Neben den Gleisen wohnt seit 1954 einer, der Victor Otto Stomps heißt und

aus einer angesehenen Krefelder Juristenfamilie stammt.

In Berlin hat er während der 30er Jahre den Verlag „Die Rabenpresse“ geleitet, später seine Eremiten-Presse in Frankfurt gegründet. Zwei Weltkriege hat der 1897 geborene „VauO“ als Unteroffizier mitgemacht.

Der Zufall hat ihn zu jener Stätte im Vordertaunus geführt, an der ein gewichtiges Kapitel deutscher Nachkriegsliteratur entstehen soll. „Schloss Sanssouris“ – „Schloss Ohnemäuse“ also – nennt V. O. Stomps die für kleines Geld angemietete Fachwerkscheune an der Stierstädter Straße, nahe der Bahngleise.

Natürlich gibt hier es hier Mäuse im Gebälk – aber keine im Portemonnaie, noch weniger auf der hohen Kante. Ein im Auftrag des „Spiegel“ angereister Journalist charakterisiert den Schlossherrn kurz und bündig: „Ständig auf Linksaußen- und Abseits-Position, meist unrasiert und meist nicht ganz nüchtern.“ Kurzum: „Deutschlands wunderlichstes Literaten- Original.“

Im Inneren des 30 Meter langen und schmal aufs

Gartengelände gestellten Gebäudes gibt es weder Heizung noch Bad, stattdessen hundert Jahre alte Druckmaschinen und Berge von Büchern, Manuskripten, verworfenen Seiten.

Stomps Eremiten-Dasein ist beileibe kein einsames, die künstlerisch tätige Jugend strebt ihm zu, bevölkert das kleine Haus. Grafiker und Dichter arbeiten Hand in Hand, außergewöhnliche Formate in kleinen Auflagen entstehen, gedruckt auf Wellpappe, Packpapier, Tapetenresten.

Dass sich unverkrampfte Kreativität und freiheitliches Ausprobieren im ehemaligen Stierstädter Leichenwagenschuppen vermählen können, ist auch dem Vermieterpaar Anna und Adam Krämer zu verdanken. Als gelernter Schlosser wird der im Nachbarhaus Wohnende vorzugsweise nachts gerufen, um das antiquierte Maschinenarsenal wieder in Gang zu bringen.

Tochter Inge – im Stomps-Schloss quasi aufgewachsen – erinnert sich an die große Eremiten-Zeit: „Bei Tag wurde geschlafen, in der Nacht gearbeitet.“ Viele, die später Rang und Namen hatten, sind ihr begegnet. „Der Grass war da.“

Christa Reinig und Gabriele Wohmann, die Herren Fuchs, Meckel, Bingel.

Seitenweise ließe sich aufzählen, wer in die enge Stube am Bahndamm getreten ist und auf Veröffentlichung seiner frühen Versuche gehofft hat. „Uve Schmidt und Wolfgang Bovelet haben mir die Deutsch-Aufsätze geschrieben“, so Inge Krämer. Eine von Bovelet erstellte Gästeliste unterscheidet zwischen Besuchern, „mit denen wir redeten und tranken“, und jenen, „mit denen wir redeten und arbeiteten“, und den anderen, „mit denen wir redeten, arbeiteten und tranken“. Da ist es nicht unüblich, dass eine angeheiterte Geburtstagsgesellschaft den verwilderten Garten auf der Suche nach dem VauO-Gebiss durchkämmt.

1967 – als die letzten Eremiten-Mitarbeiter Dieter Hülsmanns und Friedolin Reske den kranken Stomps aus dem Verlag drängen – findet ein 13 Jahre währendes Alternativprogramm sein Ende. Künstler von Format wurden auf den Weg gebracht, Frankfurter Pfingstmesse und Mainzer Minipressenmesse als Gegenveranstaltungen zum etablierten Betrieb ausgeheckt, bibliophile Kostbarkeiten und Sammlerstücke in die Welt entlassen. Etwas wurde vorgelebt, was ohne Nachahmung geblieben ist. In der Stierstädter Straße 12 hatte zudem ein beispielhaftes Miteinander seinen Ort.

„Meine Mutter“, so die Krämer-Tochter Inge, „hat V. O. Stomps die Strümpfe gestopft und ihn zur Verleihung des Fontane-Preises begleitet.“ Dass der Verleger und Autor schließlich im geliehenen Anzug ihres Vaters auf das Podium treten durfte, war selbstverständlich. Ein Mann mit Manieren, Prinzipien, mit Mumm in den Knochen. „So einen Menschen habe ich nie mehr kennengelernt.“

Am 4. April 1970 stirbt Stomps in Berlin. Er hinterlässt nichts. Für seine Beerdigung – die vier Wochen auf sich warten lässt – muss ein Geldgeber aufgetrieben werden.

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